Vermittlung komplexer Sanierungs- und
Bauvorhaben durch XR-Technologien
Sanierungen von Theater- und Kulturstätten bringen große kommunikative Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Die klassischen Werkzeuge er digitalen Architekturvisualisierung, wie Zeichnung, Modell, Foto, Rendering und Animationen, eignen sich nur bedingt für die Anforderungen komplexer räumlicher Situationen, wie sie in Theatern oft auftreten. In enger Zusammenarbeit mit Fabian Schröter, dem Technischen Leiter der Luisenburg, und dem Sanierungsbeauftragten Christian Buschhoff wurden Nutzungsszenarien für die Sanierungsplanung und das Besprechen von Bühneninszenierungen entwickelt.
FRAGESTELLUNGEN
- Wie können komplexe architektonische Transformationsprozesse verständlich dargestellt werden?
- Wie können digitale Technologien wie Augmented Reality für das Vermitteln an gebauten Architekturmodellen, an Zeichnungen und im Realraum konkret
eingesetzt werden? - Inwiefern können planerische Arbeitsprozesse mittels XR-Technologie digital unterstützt und eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglicht werden?
Komplexe Bauvorhaben, Neubauten und Sanierungsvorhaben von Theater- und Kulturstätten bringen große kommunikative Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Nicht jeder ist im Lesen von Grundrissen geschult und die Übersetzung einer Planzeichnung in eine dreidimensionale Vorstellung fällt Vielen schwer. Aus der Architekturvisualisierung bekannte Hilfsmittel, wie gerenderte 3D-Ansichten und Animationen, erleichtern zwar die Kommunikation, aber zeigen oft nur ausgewählte Aspekte – ein Verständnis für den räumlichen Gesamtzusammenhang stellt sich oft nicht ein. Für das räumliche Verständnis bietet sich ein gebautes Modell an, allerdings erfüllt dies oft nicht den Anspruch auf Variabilität, Mobilität, Skalierbarkeit und Erweiterbarkeit. Ebenso gibt es einen großen Bedarf an Interaktivität und Flexibilität.
Inwiefern können hier also digitale Technologien wie Augmented Reality eingesetzt werden, um das Vermitteln an Modellen, auf Zeichnungen und im Realraum zu unterstützen und um komplexe architektonische Transformationsprozesse verständlich darzustellen? Dieser Frage ging die digital.DTHG in einer praxisnahen Kooperationen mit den Luisenburg-Festspielen im oberfränkischen Wunsiedel nach.
Seit 1890 ist die älteste Naturbühne Deutschlands mit ihrer komplexen Felsenlandschaft für Akteur:innen und Zuschauer:innen gleichermaßen eine spektakuläre Kulisse. Jedes Jahr besuchen bis zu 150.000 Zuschauer:innen die Festspiele, die seit 2018 unter der künstlerischen Verantwortung von Birgit Simmler stehen. Jede Saison werden Musicals, Schauspiele, Komödien, Oper und Operette für ein breites und interessiertes Publikum gezeigt. Die Tradition, eigene Produktionen zu zeigen, wird durch Birgit Simmler fortgesetzt. Zusätzlich entwickeln die Festspiele neue Formate und Stücke, die eigens für die Felsenbühne produziert werden.
Mitten im Wald liegt die Naturbühne der Luisenburg Festspiele, die sich kaum mit anderen Theaterräumen vergleichen lässt. Sie umfasst eine Fläche von gut 4.000qm und ist ein Ort der belebten und unbelebten Natur. Die Natur selbst spielt hier also den Bühnenbildner – und das bereits seit Beginn der Erdgeschichte vor ca. 300 Millionen Jahren, als der Kösseinegranit als Grundlage der imposanten Felslandschaft entstand. Der Bühnenraum verändert sich stetig und sieht an keinem Tag aus wie am Tag zuvor.
Die in den letzten Jahrzehnten von Menschenhand eingebrachten baulichen Strukturen, wie Treppen, Podeste, Kulissenwände oder Lichtanlagen, bedürfen im anstehenden Sanierungsprozess einer grundlegend neuen Betrachtung. Die Sanierung ist aufgrund von Witterungsbedingungen und Produktionsabläufen herausfordernd und benötigt ein hohes Maß an Fachkompetenz und Sachverstand. Hinzu kommt, dass das komplexe System aus Hohlräumen, Gängen und Treppen mit herkömmlichen Planungsmethoden nur schwer zu bewältigen ist. Dieser Veranstaltungsort stellt in seiner Form also ein Extrembeispiel in der Theaterlandschaft dar.
„Nicht jeder ist im Lesen von Grundrissen geübt und selbst für uns als Experten ist die Gemengelage aus Hohlräumen, Gängen und Treppen schwer in ihrer Gänze zu erfassen.”, Fabian Schröter, Technischer Leiter der Luisenburg Festspiele
In enger Zusammenarbeit mit Fabian Schröter, dem Technischen Leiter der Luisenburg, und dem Sanierungsbeauftragten Christian Buschhoff haben wir Nutzungsszenarien für die Sanierungsplanung und das Besprechen von Bühneninszenierungen entwickelt. Hier spielt neben dem digital unterstützten „Expert:innengespräch” zwischen den direkt mit der Sanierung beschäftigten Personen vor allem auch eine moderierte „Präsentation” mit weniger stark involvierten Akteur:innen eine Rolle. Hierzu gehören zum Beispiel die Theaterleitung, politische Entscheidungsträger:innen, potentielle Kooperationspartner:innen und Geldgeber:innen. Bei der Kommunikation mit diesen Personengruppen ist es wichtig, einen kurzgefassten und verständlichen Überblick über hochkomplexe Planungsprozesse und Bauvorhaben zu geben, damit fundierte Entscheidungen auch ohne langwierige Einarbeitung möglich sind.
Der Zuschauerraum, der unter einem geschwungenen Zeltdach gut 1.900 Zuschauer:innen fasst, wurde in den 1960er Jahren nach einer Idee des Architekten Prof. Dr. Frei Otto gebaut. Frei Otto wurde berühmt mit seinen Konstruktionen, zum Beispiel für das Münchner Olympiagelände 1972.
Auf Basis der hervorragenden Datengrundlage an 3D-Modellen der Bestandsräume (aus terrestrischen Laserscans, drohnengestützter Photogrammetrie und CAD-Planung) haben wir zunächst den Einsatz vorhandener Softwarelösungen in den verschiedenen Szenarien erprobt. Dabei zeigte sich, dass sich diese Werkzeuge für die Abstimmungsprozesse unter Expert:innen gut nutzen und in den Planungsprozess integrieren lassen; für eine Nutzung mit externen Stakeholdern sind diese Anwendungen aber meist zu kompliziert in der Handhabung und ohne eine Einführung kaum zu bedienen.
Auf diesen Erfahrungen aufbauend, haben wir gemeinsam ein einfach zu bedienendes, „augmentiertes” Präsentationsformat skizziert: Die Nutzer:innen können mit einem Tablet, Smartphone oder einer AR-Brille an einem gezeichneten Grundriss oder einem physischen Geländemodell dreidimensionale Inhalte präsentieren, zum Beispiel den aktuellen Planungsstand oder Varianten eines Bühnenbildentwurfs. Dabei dienen die physisch-realen Objekte als Ankerpunkte für die Überlagerung durch digitale dreidimensionale Inhalte. Die Präsentationen können vorab von Moderator:innen vorbereitet werden und vielfältige Informationen beinhalten. Ähnlich wie bei den Folien einer Powerpoint-Präsentation können sich Moderator:in und Betrachter:in dann durch die unterschiedlichen 3D-Modelle klicken.
Nachdem wir Aspekte – wie die Positionierung von Objekten, die Skalierung und das Interface – in vorbereitenden Experimenten überprüft hatten,
wurden die Erkenntnisse in der prototypischen Anwendung „XR-Editor/Viewer” als Musterlösung zusammengeführt und dienen so als Ausgangspunkt für weiterführende Entwicklungen. Technische Grundlage für die Anwendung bildet der neue WebXR-Standard. Er ermöglicht das Abbilden dreidimensionaler Inhalte auf unterschiedlichsten Gerätetypen, wobei die Art der Darstellung sich nach den technischen Möglichkeiten der Hardware richtet.
Die entstandene Anwendung besteht aus zwei zusammengehörigen Komponenten: Das ist einerseits der WebXR-Editor, in dem die „Folien” zusammengestellt und vorbereitet werden, und andererseits der WebXR-Viewer, der online aufgerufen werden kann, um die Präsentation darzustellen. Diese browserbasierte und geräteunabhängige Nutzung erlaubt es, den gleichen Inhalt auf unterschiedliche Weisen auszuspielen.
Beide Anwendungen wurden so angelegt, dass sie nicht nur spezifisch für diesen Themenbereich, sondern auch auf andere Bereiche übertragen werden können: So konnten wir mit dieser Anwendung parallel auch Adaptionen für die Themen „Augmented Reality in der Veranstaltungstechnik“ und „Digitale Zwillinge der Theatertechnikgeschicht“ entwickeln.
„Anders als in einer urbanen, klassisch erbauten Theaterarchitektur, gibt es für diese in und um den Berg herum konstruierte und über die Jahrzehnte gewachsene Theaterlandschaft keine ausreichend präzisen Baupläne. Nur mit einer räumlichen Erfassung per Laserscan, die wir 2018 erstellt haben, können wir belebte von unbelebter Natur in Abgrenzung zum künstlich erbauten Wegenetz und den Spielflächen detailliert genug erfassen.”, Christian A. Buschhoff, Sanierungsbeauftragter und externer Berater
Projektteam digital.DTHG
Projektleitung: Franziska Ritter, Pablo Dornhege
Entwicklung: Lea Schorling, Sascha Sigl
3D-Modellierung/Scans: Sascha Sigl, Pablo Dornhege
Design und Interface: Maria Bürger
Kooperationspartner und Fachberater
Luisenburg-Festspiele / Naturbühne Wunsiedel
CAB Dienstleistungen Christian Buschhoff
Komische Oper Berlin
Fabian Schröter, Technischer Leiter der Luisenburg Festspiele
Christian Buschhoff, Sanierungsbeauftragter, CAB Dienstleistungen e.K.
Aktuelles zum Projekt
Webinar für die European Theatre Convention: „Im/material Theatre Spaces“
In diesem Webinar für die European Theatre Convention zeigt unsere Projektleiterin Franziska Ritter verschiedene Ansätze und Möglichkeiten anhand des Forschungsprojekts „Im/material Theatre Spaces“ von digital.DTHG, dem digitalen Kompetenzzentrum der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft. Das Theater war schon immer ein Vorreiter für die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien, es ist ein Ort der künstlerischen und technischen Innovation, …
„Webinar für die European Theatre Convention: „Im/material Theatre Spaces““ weiterlesen
Abschluss-Publikation des Forschungsprojektes „Im/material Theatre Spaces“
Das Forschungsprojekt „Im/material Theatre Spaces – Augmented and Virtual Reality for Theatre“ ist nach 2,5-jähriger Laufzeit erfolgreich abgeschlossen. Die nun vorliegende Publikation fasst die Projekterkenntnisse zusammen und gibt Einblicke in die interdisziplinäre praxisnahe Forschungsarbeit. (Download pdf)
Präsentation auf der Bühnentechnischen Tagung in Ulm
Im Juni 2022 fand die 61. Bühnentechnische Tagung der DTHG in Ulm statt: mit einem umfangreichen Programm aus Präsentationen, Podiumsdiskussionen, Round Tables und Vorträgen konnte die Theaterlandschaft endlich wieder live ihren Branchentreff feiern. 71 Firmen und mehr als 1.100 Gäste waren vor Ort, lernten sich kennen und tauschten sich aus. Im Immersive Showroom hat das …
„Präsentation auf der Bühnentechnischen Tagung in Ulm“ weiterlesen
Ergebnisse des Projektes Erweiterte Realität als Kommunikationswerkzeug
Inwiefern können digitale Technologien wie Augmented Reality eingesetzt werden, um das Vermitteln an Modellen, auf Zeichnungen und im Realraum zu unterstützen und um komplexe architektonische Transformationsprozesse verständlich darzustellen? Gemeinsam mit unseren Kooperationspartner:innen haben wir unterschiedliche Nutzungsszenarien skizziert und eine auf diesen Anforderungen basierende Anwendung entwickelt: die Nutzer:innen können mit einem Tablet, Smartphone oder einer AR-Brille …
„Ergebnisse des Projektes Erweiterte Realität als Kommunikationswerkzeug“ weiterlesen
Einblicke und Ausblicke – Interview Franziska Ritter und Pablo Dornhege
Zum Abschluss des Forschungsprojekts geben die beiden Projektleiter:innen Franziska Ritter und Pablo Dornhege einen Blick hinter die Kulissen ihrer zweijährigen Arbeit, ziehen ein Resumé und schauen ein Stück weit in die Zukunft. Sie stellen sich damit selbst den Fragen, die sie im laufenden Projekt ihren Partnern gestellt haben
Interview: Norbert Richter – Theater Chemnitz
Die Herausforderung ist, die bestehenden Strukturen im Kopf auszublenden und sich frei zu machen vom Newton`schen Weltbild, das unseren Alltag bestimmt.
BTT 2022 – Bühnentechnische Tagung in Ulm am 29. & 30. Juni
Bei der 61. Bühnentechnischen Tagung 2022 in Ulm präsentieren sich Ende Juni nicht nur die wichtigsten Unternehmen der theatertechnischen Branche – es gibt ein umfassendes Rahmenprogramm und wir präsentieren die Ergebnisse unseres Forschungsprojektes „Im/material Theatre Spaces“.
Ergebnisse, Lizenzen, Nachhaltige Nutzung
Die 2019-2022 im Rahmen des Forschungsprojekts „Im/material Theatre Spaces“ entwickelten Lösungsansätze dienen durch ihren prototypischen Modell-Charakter als nachhaltig übertragbare Konzepte. Die gewonnenen Erkenntnisse und entwickelten Musterlösungen wurden auf verschiedenen Kanälen veröffentlicht und werden so der gesamten Kulturlandschaft zur freien und flexiblen Nachnutzung zur Verfügung gestellt.
„Wir haben im Theaterbereich noch eine sehr große Lernkurve vor uns“ – Interview Christian Buschhoff und Fabian Schröter
Christian Buschhoff, der Sanierungsbeauftragte der Luisenburg Festspiele, und Fabian Schröter, der Technische Leiter sprechen mit den Projektleiter:innen Franziska Ritter und Pablo Dornhege über digitale Werkzeuge für die Planung von Sanierungsvorhaben und Virtuelle Bauproben.
Kurz empfohlen: Welche Software für 3D Planung und Arbeiten in VR?
Die Digitalisierung hält in nahezu allen Bereich Einzug und entwickelt mit der virtuellen Realität ein durchaus nützliches Hilfsmittel für Planung, Organisation und Besprechung. Die aufgeführten Programme sind erste Anhaltspunkte für die räumliche Entwurfsarbeit in VR und ermöglichen einen einfachen Einstieg in die virtuelle Welt.
Kurz erklärt: Was? Wie? Web XR?
WebXR – was ist das eigentlich und wie funktioniert es? Wir nutzen diese Technologie für mehrere unserer digital.DTHG Prototypen – hier erklären wir, was dahinter steckt.
Kurz empfohlen: Virtuelle Meetingräume 3D
Durch die Pandemie ist das Interesse an digitalen Meetingräumen gestiegen und auch die Zahl der Tools hat sich enorm vergrößert. Dabei können Meetings mittlerweile nicht nur als einfaches Videotelefonat stattfinden sondern erobern den virtuellen Raum.
Der augmentierte Planungstisch – XR-Modelle für Transformationsprozesse
Komplexe Sanierungsvorhaben von Theater- und Kulturstätten bringen große kommunikative Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Inwiefern können mittels XR-Technologie Arbeitsprozesse digital unterstützt und eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglicht werden?
Video BTT_digital Session: “Im/material Theatre Spaces”
Zur BTT_digital stellen die Projektleiter*innen Franziska Ritter und Pablo Dornhege nach einem Jahr Projektlaufzeit das Projekt „Im/material Theatre Spaces“ als Online-Session aus dem ditigal.DTHG-Labor vor.
digital.DTHG auf Bühnentechnischer Tagung
Auf der BTT – der Bühnentechnischen Tagung, der wichtigsten Fachmesse und Weiterbildungsveranstaltung der theatertechnischen Branche der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) werden wir am 28. & 29. Oktober in den Messehallen Ulm einen ersten Einblick in unsere Digital-Projekte geben.
Kick-Off-Workshop: Ideen, Impulse und Prototypen
Grundlage und Ideengeber für das aktuelle Forschungsprojekt ist der interdisziplinäre Workshop »IM/MATERIAL THEATRE SPACES«, der im Frühjahr 2019 stattfand. Hier wurden prototypische Anwendungsszenarien und Vermittlungsstrategien für historische und zukünftige Theaterarchitekturen erprobt.
Weitere Projekte:
Augmented Reality in der Veranstaltungstechnik
Die zentrale Frage in diesem Teilprojekt ist, inwieweit Augmentierte Realität zur Verbesserung, Erleichterung, Erweiterung der täglichen Arbeit genutzt werden kann und zu einer Erhöhung der Sicherheit auf der Bühne führt.
Theatererbe erlebbar machen
Dieses Teilprojekt widmet sich der Herausforderung, Theatererbe sichtbar zu machen und neue virtuelle Vermittlungsformen zu finden, die dem “Theater” als immaterielle Kunstform in seiner Ganzheitlichkeit gerecht werden.
Virtuelle Lehr- und Lernräume
Interaktive Trainingstools für die Ausbildung von Theater- und Veranstaltungstechniker*innen