Der augmentierte Planungstisch – XR-Modelle für Transformationsprozesse

Komplexe Sanierungsvorhaben von Theater- und Kulturstätten bringen große kommunikative Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Inwiefern können mittels XR-Technologie Arbeitsprozesse digital unterstützt und eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglicht werden? Dieser Frage geht die digital.DTHG seit anderthalb Jahren in praxisnahen Kooperationen nach – so auch mit den Luisenburg-Festspielen im oberfränkischen Wunsiedel. Seit 1890 ist die älteste Naturbühne Deutschlands mit ihrer komplexen Felsenlandschaft für Akteur:innen und Zuschauer:innen gleichermaßen eine spektakuläre Kulisse.  Jedes Jahr besuchen bis zu 150.000 Zuschauer:innen die Festspiele, die seit 2018 unter der künstlerischen Verantwortung von Birgit Simmler stehen. Jede Saison werden Musicals, Schauspiele, Komödien, Oper und Operette für ein breites und interessiertes Publikum gezeigt. Die Tradition, eigene Produktionen zu zeigen, wird durch Birgit Simmler fortgesetzt: Zusätzlich entwickeln die Festspiele neue Formate und Stücke, die eigens für die Felsenbühne produziert werden.

Der Zuschauerraum, der unter einem geschwungenen Zeltdach gut 1.900 Zuschauer:innen fasst, wurde in den 1960er Jahren nach einer Idee des Architekten Prof. Dr. Frei Otto gebaut. Frei Otto wurde berühmt mit seinen Konstruktionen, zum Beispiel für das Münchener Olympiagelände 1972.

Mitten im Wald liegt die Naturbühne der Luisenburg Festspiele, die sich kaum mit anderen Theaterräumen vergleichen lässt. Sie umfasst eine Fläche von gut 4.000qm und ist ein Ort der belebten und unbelebten Natur. Die Natur selbst spielt hier also den Bühnenbildner – und das bereits seit Beginn der Erdgeschichte vor ca. 300 Millionen Jahren, als der Kösseinegranit als Grundlage der imposanten Felslandschaft entstand. Der  Bühnenraum verändert sich stetig und sieht an keinem Tag aus wie am Tag zuvor.

Die in den letzten Jahrzehnten von Menschenhand eingebrachten baulichen Strukturen wie Treppen, Podeste, Kulissenwände, Lichtanlagen bedürfen einer grundlegend neuen Betrachtung. Für den anstehenden Sanierungsprozess, der sich über Jahre streckt und aufgrund von Witterungsbedingungen und Produktionsabläufen herausfordernd in der Planung ist, ist ein hohes Maß an Fachkompetenz und Sachverstand erforderlich.

Mit herkömmlichen Planungsmethoden sind diese Prozesse nur schwer zu bewältigen. Der Technische Leiter Fabian Schröter beschreibt: “Nicht jeder ist im Lesen von Grundrissen geübt und selbst für uns als Experten ist die Gemengelage aus Hohlräumen, Gängen und Treppen schwer in ihrer Gänze zu erfassen.”  

Das Team rund um Fabian Schröter und dem für die Schnittstellen zuständigen Koordinator Christian A. Buschhoff erprobten in diesem Kontext neue digitale Werkzeuge, die bereits vom ersten Tag an mit der Bedarfsplanung implementiert wurden: “Anders als in einer urbanen, “klassisch” erbauten Theaterarchitektur, gibt es für diese in und um den Berg herum konstruierte und über die Jahrzehnte gewachsene Theaterlandschaft keine ausreichend präzisen Baupläne. Nur mit einer räumlichen Erfassung per Laserscan, die wir 2018 erstellt haben,  können wir belebte von unbelebter Natur in Abgrenzung zu den künstlich erbauten Wegenetz und Spielflächen detailliert genug erfassen. Das Ergebnis ist eine höchst präzise Punktwolke, die von Beginn an die Grundlage für alle weiteren Planungsschritte ist.”

Diese hervorragende Datengrundlage gilt es jetzt für die Kommunikation und Planung nutzbar zu machen: viele Beteiligte müssen auf diesem langwierigen Prozess mitgenommen werden. Jede dieser Zielgruppen hat dabei ihre ganz eigenen Anforderung: vom Bürgermeister und dem Stadtrat, der in der abendlichen Sitzung innerhalb von 10 Minuten schnell und überzeugend die Notwendigkeit für das Sanierungsvorhaben verstehen soll, bis hin zur Fachplanergruppe, die sich stundenlang über ein ganz bestimmtes Detail hinter Treppe Nr. 15 dritte Stufe unten rechts bei einem Meter Schnee wetterunabhängig berät.

Die klassischen Werkzeuge der digitalen Architekturvisualisierung wie Zeichnung, Modell, Foto oder Renderings und Animationen eignen sich nur bedingt für diese komplexen Anforderungen. Für das räumliche Verständnis bietet sich ein gebautes Geländemodell an, allerdings erfüllt es nicht den Anspruch auf Variabilität, Mobilität, Skalierbarkeit und Erweiterbarkeit der oben skizzierten Szenarien. Ebenso gibt es einen großes Bedarf an Interaktivität und Flexibilität. Inwiefern können hier also digitale Technologien wie Augmented Reality eingesetzt werden, um das Vermitteln an Modellen, auf Zeichnungen und im Realraum unterstützen, um komplexe architektonische Transformationsprozesse verständlich darzustellen?

In einem interdisziplinären zweitägigen Workshop im März 2021 haben wir mit Teilnehmer:innen der Luisenburg unterschiedliche Nutzer-Szenarien entwickelt: z.B. für die Sanierungsplanung, für die Theaterpädagogik, für das Besprechen von Bühneninszenierungen und für die Sicherheitseinweisung von neuem Personal. Dabei ist spielerisch und praxisnah ein Katalog an notwendigen und gewünschten “Features” / Funktionen entstanden, die eine solche Digital-Anwendung beinhalten soll. Die Idee dahinter: die Nutzer:innen können mit einem Tablet, Smartphone oder einer AR-Brille an einem gezeichneten Grundriss oder einem physischen Geländemodell dreidimensionale Inhalte präsentieren, z.B. den aktuellen Planungsstand oder Varianten eines Entwurfs. Die Präsentationen können vorab zielgerichtet von Moderator:innen vorbereitet werden und vielfältige Informationen beinhalten. Ähnlich wie bei den Folien einer Powerpoint-Präsentation können sich Moderator:in und Betrachter:in dann durch die unterschiedlichen 3D-Modelle klicken.

Technische Grundlage für die Anwendung bildet der neue WebXR-Standard, er ermöglicht das Abbilden dreidimensionaler Inhalte auf unterschiedlichsten Gerätetypen, wobei die Art der Darstellung sich dabei nach den technischen Möglichkeiten der Hardware richtet. Diese browserbasierte und geräteunabhängige Nutzung erlaubt es, den gleichen Inhalt auf unterschiedliche Weisen auszuspielen. Die ersten prototypischen Testläufe haben schon große Wirkung erzielt – man darf gespannt sein.