Interview: Norbert Richter – Theater Chemnitz

Die Herausforderung ist, die bestehenden Strukturen im Kopf auszublenden und sich frei zu machen vom Newton`schen Weltbild, das unseren Alltag bestimmt.

Norbert Richter ist seit 2007 Leiter der Werkstätten am Theater Chemnitz. Seit vielen Jahren ist er und sein Team der „digitale Motor” am Haus und bringt sein Know-How für die anstehende Sanierung des Hauses und den Umzug in die Ersatzspielstätte in der Alten Spinnerei ein. Im „How to go Virtual – Workshop” der digital.DTHG haben er und sein Team verschiedene Einsatzmöglichkeiten von immersiven Technologien am Theater erprobt. Workshopleiter Vincent Kaufmann spricht mit ihm über seine Erfahrungen rund um Virtuelle Bauproben und den digitalen Transformationsprozess am Haus.

Wo würdest du eure Abteilung und euer Haus in Sachen digitale Transformation verorten? Wo steht ihr und woran arbeitet ihr gerade?

Wir sind am Theater Chemnitz schon seit mehreren Jahren zunehmend digital unterwegs, vor allem was die Aufbereitung von Unterlagen und die Bühnenbildherstellung angeht. Dies betrifft neben der Vorbereitung der Konstruktion auch die Dokumentation, sodass wir nahezu 100% unserer Produktionen durch den Rechner hindurch „jagen”. Wir haben sogar schon damit begonnen, einzelne Produktionen mit digitalen Aufbauanleitungen zu versehen, was die eigentliche handwerkliche Tätigkeit sowohl beim Herstellen als auch beim Errichten auf der Bühne effizienter macht.

Welche Vorteile siehst du noch darüber hinaus in der digitalen Arbeitsweise?

Für uns hat das vor allem in puncto Arbeitssicherheit einen großen Vorteil, zum Beispiel bei der Kollisionsprüfung von Elementen. Ich muss wirklich feststellen, dass die Dinge weniger Nacharbeit benötigen und wir Fehler bei der Herstellung vermeiden. Auch im Dialog mit den Künstler:innen können wir neue Lösungsansätze oder Varianten am Rechner in 3D besser skizzieren und diskutieren. 

Kannst du uns einen kurzen Einblick in eure personellen und technischen Ressourcen geben? Wie seid ihr im digitalen Bereich aufgestellt?

Aktuell arbeiten wir zu dritt im Team und haben drei vollwertige Rechnerarbeitsplätze. Wir sind seit ungefähr 2000 mit der Software MegaCAD unterwegs. Leider haben wir mit den Rechnerarbeitsplätzen hier bei uns in den Werkstätten das Monopol. Das ist nicht schön, weil wir damit natürlich die Pflege und Änderung aller Daten im Haus übernehmen müssen, was ein großer zeitlicher Faktor ist, andererseits sind unsere Pläne aussagekräftig und einheitlich. Theoretisch könnten wir komplett in 3D arbeiten, dafür fehlt es aber an Personal und zusätzlicher technischer Ausstattung im Rest des Hauses, damit auch die anderen Abteilungen mit unseren Dateien arbeiten können. Wir hier in den Werkstätten wissen um die Macht und die Möglichkeiten der Neuen Technologien. Aber wir brauchen auch die Gewerke im Prozess dahinter, die unserer Vision und Idee folgen. 

Ihr seid mit euren Produktionen schon versiert im dreidimensionalen Raum unterwegs. Im Workshop „How to Go Virtual” haben wir gemeinsam Szenarien für eine „Virtuelle Bauprobe” erarbeitet. Wie ist es euch ergangen damit?

Mit den Spielstätten selbst sind wir bisher tatsächlich meist in 2D Zeichnungen unterwegs. Aktuell sind wir im Umbau und Umzug, planen virtuell die neuen Premieren und die Anpassung der bisherigen Stücke, die mit umziehen werden. In den Vorbereitungen mit dem Bühnenbildner Stephan Morgenstern für die Produktion „Peter Pan” wollen wir sehr viel Energie in das Thema Virtuelle Bauprobe stecken. Es geht hier nicht um die realitätsnahe Prüfung von Atmosphären oder so, sondern: „So sieht es aus. So wird es gemacht. So wird es gebaut”. Das ist der Hauptfokus, auch gerade im Bereich der Virtuellen Bauprobe. Dank der Virtuellen Bauprobe kann ich jetzt umzugsbedingte Änderungen zumindest erstmal virtuell im 3D-Modell anpreisen, ohne dass die Spielstätte bezugsfertig ist; die eigentliche Diskussion vor Ort können wir am virtuellen Objekt führen. Das geht natürlich mit dem dreidimensional verfügbaren Zuschauer- und Bühnenraum wesentlich eleganter als mit technischen Zeichnungen. Dadurch sparen wir aktuell sehr viel Zeit und können schneller und hoffentlich auch einfacher in die neue Spielzeit starten. 

Also schaut ihr neben der virtuellen Bauprobe schon einen Schritt weiter in Richtung Produktion und Fertigung?

Genau. Seit drei Jahren arbeiten wir mit 3D-Scannern, um Modelle zu scannen und dann digital auseinander „zu sägen”. Wir haben das zum Beispiel mit einem 13 Meter großen Hirsch auf der Bühne gemacht, den wir in viele Spanten aufgelöst haben. Dafür haben wir ein kleines Modell gescannt, im Programm skaliert und in CAD auseinandergeschnitten, um die entsprechenden Pläne bereitzustellen. Und das hat gut funktioniert. Da habe ich gesehen, was alles noch denkbar ist. Es kommen zum Glück von Zeit zu Zeit Aufgaben auf uns zu, bei denen man neu denken muss und auch mal unkonventionelle Wege ausprobiert. 

Siehst du andere Anwendungsszenarien im Verlauf einer Theaterproduktion? 

Ja, neulich bei einem virtuellen Rundgang unserer Außenspielstätte habe ich den Bogen zur Sicherheitsbelehrung geschlagen. Gerade bei der Außenspielstätte macht das die Besprechungen einfacher. Und hier kann man die virtuelle Bauprobe wieder integrieren: das Bühnenbild kann ebenfalls aufgebaut sein und Scherkanten und Gefahrenstellen markiert sein. 

Welche Verantwortung haben wir als Theatermacher:innen und welche Herausforderungen gibt es?

Ich glaube nicht, dass man die Verantwortung genau lokalisieren kann. Ich sehe das als ein reizvolles Thema, was im Laufe der Zeit auf unsere Agenda gesprungen ist, da die Hemmschwellen angenehm niedrig geworden sind. Die eigentliche Herausforderung ist, die bestehenden Strukturen im Kopf auszublenden und sich frei zu machen vom Newton`schen Weltbild, das unseren Alltag bestimmt. Spannend wird es natürlich, wenn ich keine Limitierung mehr habe, denn die Begrenzung ist nur mein eigenes Vorstellungsvermögen. Da an der Stelle sind wir, glaube ich, am meisten gefordert. Das Theater sollte sehr offen sein, auch von der Gaming Industrie zu lernen, digitale Experimente mitzumachen und einen Schritt in diese virtuellen Welten zu wagen.

Szenograf:innen im Workshop „How to Go Virtual“ im Theater Chemnitz erkunden die Entwurfsmöglichkeiten der Software Gravity Sketch.

Titelfoto: Nasser Hashemi
Interimsspielstätten im Gebäude des früheren VEB Spinnereimaschinenbau Chemnitz – kurz: Spinnbau – an der Altchemnitzer Straße.