“How to go virtual?!” Workshop jetzt auch für freie Bühnenbildner:innen – gemeinsam mit dem Bund der Szenografen

Um das Bewusstsein für digitale und virtuelle Werkzeuge im Theater zu schärfen, hat die digital.DTHG den Workshop “How to go virtual?!” konzipiert und das Format nun für freie Szenograf:innen und Bühnenbildner:innen erweitert. In Kooperation mit dem Bund der Szenografen findet eine Serie von VR-Workshops an verschiedenen Orten in Deutschland statt, der gelungene Auftakt Anfang 2021 im Theaterhaus Berlin-Mitte zeigte das rege Interesse der Szene an der Auseinandersetzung mit virtuellen Gestaltungsinstrumenten.

Zum Hintergrund: Im Rahmen des Forschungsprojektes “Im/material Theatre Spaces” untersucht das DTHG-Team die Potentiale digitaler Technologien, speziell Augmented (AR) und Virtual Reality (VR), für verschiedene Bereiche des Theaters und erkundet u.a. in Form dieser Workshops die neuen technischen Möglichkeitsräume an der Schnittstelle analoger und digitaler Welten. Franziska Ritter, die gemeinsam mit Pablo Dornhege das zweijährige Projekt leitet, macht deutlich: “Die Technologien sind faszinierend und können viel bewirken, aber oft ist die Hemmschwelle für Theaterschaffende noch groß. Das fängt bei fehlenden technischen Infrastrukturen an und hört nicht bei knappen Produktionsbudgets auf. Mit diesen Praxis-Workshops wollen wir die Faszination für die neuen digitalen Möglichkeitsräume wecken und eine Chance bieten, mit virtueller Realität unkompliziert in Kontakt zu kommen.” Eine solche Starthilfe fand im letzten Jahr schon erfolgreich mit den technischen Abteilungen am tjg Dresden und am Rheinischen Landestheater Neuss statt.

Die fortschreitende Digitalisierung verändert den Arbeitsalltag auch von Szenograf:innen. Aus diesem Impuls hat sich im Juni 2020 beim Bund der Szenografen die Arbeitsgruppe “Digitaler Raum” aufgestellt – hier setzen sich in regelmäßigen Arbeitstreffen interessierte Mitglieder mit Digitalität und Szenografie auseinander. Oliver Proske, Vorstand des Bund der Szenografen, und Juliane Grebin, Koordinatorin der Arbeitsgruppe, verdeutlichen: “Damit schaffen wir ein Forum für Erfahrungsaustausch und diskutieren, wie Techniken und Skills genutzt werden können. Wir überlegen, wie wir als Szenograf:innen auf ästhetische Entwicklungen in intermedialen Räumen Einfluss nehmen können und hinterfragen Möglichkeiten und Voraussetzungen – kreativ, aber auch kritisch. Daher begrüßen wir die kollegiale Initiative der DTHG und freuen uns, die Workshopserie für unsere Mitglieder veranstalten zu können und damit einen gemeinsamen Diskussionsraum zu eröffnen”.

Welche neuen Möglichkeiten hält diese Technologie für die Szenografie bereit, gerade auch in Zeiten, in denen Reisen und persönliche Begegnungen nicht realisierbar sind? Inwiefern können Arbeitsprozesse erleichtert und die analoge bühnenbildnerische Entwurfsarbeit ergänzt und möglicherweise bereichert werden? Was sind die Voraussetzungen für solch eine Arbeitsweise im virtuellen Raum und welche erste Schritten sind sinnvoll? Im zweitägigen Praxis-Workshop “How to go virtual?!” gibt Vincent Kaufmann, Theatertechniker und VR-Coach, einen detaillierten Einblick, wie VR als Gestaltungs-, Planungs- und Kommunikationsmedium in der eigenen Kreativpraxis eingesetzt werden kann. Der kleine Teilnehmerkreis von nur 4 Personen erlaubt dabei eine individuelle Betreuung, der im Erstkontakt mit den Technologien hilfreich ist. Eine kurze theoretische Einführung über Begrifflichkeiten und Hardware/Software-Funktionalitäten führt zum Praxis-Schwerpunkt des Workshops. Einerseits geht es um das praktische Ausprobieren bestehender Hardware wie z.B. Oculus Quest, HP Reverb G2 und verschiedener Anwendungen wie z.B. VR-Sketch, Tilt Brush, Gravity Sketch und Mozilla Hubs (siehe auch Blogbeitrag Kurz Empfohlen). Andererseits werden konkrete Nutzungsszenarien am eigenen Bühnenbildentwurf gemeinsam erprobt.

Mit den vorgestellten Programmen sind viele Szenarien eines digitalen “Workflows” umsetzbar: von der ersten eigene Skizze des Bühnenbildentwurfs im virtuellen Raum, der gemeinsamen Vorbesprechung mit dem Kreativteam im 3D-Online-Modell, bis hin zur live Planungs-Session in Form einer “Virtuellen Bauprobe”. Wann, wie und welche Tools eingesetzt werden, ist vom eigenen Workflow abhängig und die Kunst besteht wie so oft in einer geschickten Kombination und flexiblen Arbeitsweise. Das Arbeiten in und mit virtuellen Räumen ist also ein (gar nicht so) neues Spielfeld, das zur Zeit von Szenograf:innen mit Improvisations- und Kommunikationsgeschick erobert wird. Vor allem in Zeiten der pandemischen Einschränkungen hat sich schon so manch digitale Besprechung von großem Vorteil erwiesen und wird garantiert in den postpandemischen Arbeitsalltag einziehen. Vincent Kaufmann ist begeistert von der Offenheit der Teilnehmer:innen:  “Wer es jetzt schafft, die Chancen einer hybriden Arbeitsweise für sich zu erschließen, und Digitalität nicht im Modus des “Entweder-oder”, sondern integrativ und neugierig als “auch und warum nicht” begrüßt, ist klar im Vorteil.”

Workshop-Teilnehmerin Isabel Robson, Videokünstlerin, merkt an: ”Auch wenn der Einstieg in die VR-Programme anfangs sehr intuitiv ist, wird nach dem ersten Wow-Effekt schnell klar, dass diese Werkzeuge viel Zeit zur Aneignung brauchen.” Der Umgang mit digitalen Werkzeugen erfordert Geduld, und auch das Gestalten im virtuellen Raum ist wie das Skizzieren und Zeichnen ein Handwerk und erfordert neue Fertigkeiten – Übung macht, wie immer, den Meister. Häufig fehlen auch hilfreiche Vorkenntnisse und Kompetenzen in der computergestützten Visualisierung von Entwürfen – einem Bereich der jetzt und in Zukunft immer stärker an Wichtigkeit gewinnt und im Studium und der Ausbildung oft vernachlässigt wird.

Dieses Grundverständnis der digitalen Gestaltungswerkzeuge ist notwendig, um den oft glatten und nüchternen Programmen eine persönliche “digitale” Handschrift zu entlocken und eine eigene Ästhetik hinzubekommen. Oft erliegen die Gestalter:innen auch der Versuchung, mit viel Aufwand möglichst “realistische” Simulationen der Wirklichkeit erschaffen zu wollen – wenngleich die gedankliche Offenheit einer schnellen skizzenhaften Darstellung oder eines abstrahierten Arbeitsmodells in diesem frühen Stadium des Entwurfsprozesses zielführender ist und mehr Raum für die Vorstellungskraft der Betrachter:innen lässt.

Im anschließenden Gespräch mit den Teilnehmer:innen und der AG  “Digitaler Raum” wird schnell klar, das die nötige technische Infrastruktur (VR-Brillen, leistungsstarke Notebooks, Internet, z.T. kostspielige Software) für so eine Arbeitsweise noch zu selten an Theatern und in den Ateliers der Bühnenbildner:innen vorhanden ist. Hier sind nicht nur die Kreativen selbst, sondern vor allem auch Theaterhäuser und Verbände gefragt, innovative und kurzfristig umsetzbare Szenarien zu realisieren. Dazu braucht es Labore und digitale Werkstätten als Co-Working Spaces, flexible technische Infrastrukturen wie z.B. VR-Leihsets sowie einen gemeinsamen Wissenstransfer. Die Workshopserie, Vortragsreihen, Arbeitsgruppentreffen, gemeinsame gemeinsame Foren wie Discord oder Slack sind hier die ersten wichtigen Schritte für eine gute Vernetzung. In einem ersten gemeinsamen Treffen erkundeten das DTHG-Team und die AG “Digitaler Raum” gemeinsam den Großen Saal des Virtuellen Konzerthauses Berlin in der Online-Plattform Mozilla Hubs:

Fazit: Um den neuen Herausforderungen im Lockdown gerecht zu werden und in ein neues Zeitalter zu starten, ist die Auseinandersetzung mit digitalen Workflows von Vorteil. So ist die Teilnahme am Workshop eine sinnhafte Weiterbildungsmöglichkeit – nicht nur während des Lockdowns.

Bühnenbildnerin Heike Vollmer fasst es gut zusammen: ”Für mich ist die Technik als Kommunikationsmittel innerhalb des künstlerischen Teams und zwischen der Theatertechnik (Konstruktionsabteilung und technischer Leitung) und dem künstlerischen Team interessant, da es möglich ist, im digitalen Raum Ideen und Entwürfe auszuprobieren, die analog sehr viel mehr Zeit, Mühe und Kraft kosten. Einige neue Fragen haben sich für mich in der anregende Diskussion ergeben: Inwieweit hat die spezifische 3D-Ästhetik Einfluss auf meinen Entwurf? Was bedeutet die Abwesenheit alles Physischen und Sinnlichen während des Entwerfens für die Umsetzung in 1:1? Wie können sich im Entwurf das Analoge und das Digitale gegenseitig ergänzen und bereichern?”

Diese und weitere Fragen werden Themen in zukünftigen Workshoprunden sein!  Neue Workshops sind sowohl für Kreativ-Teams, Theaterschaffende als auch Theater-Institutionen / Technische Abteilungen in ganz Deutschland in Planung. Bei Interesse können Sie sich wenden an:

Workshopleitung digital.DTHG:
Vincent Kaufmann – vincent.kaufmann@dthg.de

Bund der Szenografen AG Digitaler Raum:
Juliane Grebin – digital@szenografen-bund.de

Last but not Least: Bei diesem Workshop hieß es zu Beginn für alle Teilnehmer:innen “Mund auf, Stäbchen rein, negativ sein!” Die digital.DTHG hat für die “How to go virtual” Workshopreihe ein verantwortungsvolles Hygienekonzept aufgestellt – mit Vor-Ort-Schnelltests, räumlichen Inseln, 2-Meter-Abstand und Desinfektion sowie zum ersten Mal im Einsatz: Reduzierung der Aerosolbelastung im Raum mit Hilfe eines mobilen Aspra Luftreinigers. So sind Fortbildungen auch in diesen Zeiten sicher durchführbar.

Autor:innen: Franziska Ritter und Vincent Kaufmann
Fotocredit: Juliane Grebin und Franziska Ritter