Unsere Projektleiterin Franziska Ritter spricht mit Alexander Segin, dem Leiter der Veranstaltungstechnik des Konzerthauses Berlin. Im Rahmen der Spielzeit 2020/21 zum 200jährigen Jubiläum des Konzerthauses konnten wir mit ihm und seinem Team Workflows für Virtuelle Bauproben erproben.
Das Interview fand am 1. März 2022 vor Ort im Konzerthaus Berlin statt.
Franziska Ritter (digital.DTHG): Inwiefern gibt es bei Euch im Haus im normalen Konzertbetrieb überhaupt Bauproben und warum machte es Sinn, diese auch mit digitalen Mittel durchzuführen?
Alexander Segin (Konzerthaus Berlin): Pro Jahr finden an die 500 Veranstaltungen bei uns im Haus statt. Üblicherweise gibt es Bauproben nur für wenige szenische Produktionen im Jahr. Allerdings sind diese Bauproben deutlich “markierter” als Bauproben an Theater- oder Opernhäusern, weil wir durch die hohe Frequentierung der Bühne mit Proben, Konzerten und Vermietungen des Saales einen sehr engen Zeitplan haben. Bei den Produktionen, die wir für unser Jubiläumsjahr 2020/21 rund um das “Freischütz” Thema auf die Bühne bringen wollten, war von vornherein klar, dass das räumlich-technisch eine riesen Herausforderung wird.
Kannst Du uns diese Herausforderungen an einem Beispiel beschreiben? Und wie Ihr damit umgegangen seid?
Bei der Neuinszenierung von Carl Maria von Webers “Freischütz” mit der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus wollten wir neue Wege gehen und den Saal als Illusionsraum nutzen. Daher war die Umsetzung und die Herangehensweise natürlich auch eine ganz Andere als sie bei einer normalen Konzertsituation. Die 14 Kronleuchter im Saal wurden mit Tüchern umspannt und es wurde eine aufwendige PreRigg-Konstruktion für die verschiedenen Projektionsebenen geplant. Insgesamt also eine sehr aufwendige Produktion mit Krankonstruktion für die Artistik bei der es auf jeden Zentimeter ankam und die – auch im Zeichen der Pandemie – ständig von Umplanungen betroffen war. Am Ende kam die Inszenierung ohne Publikum als aufwendige Fernsehproduktion zur Premiere. So konnten wir den gesamten Raum nutzen, das Orchester auch im Saal platzieren und für den Chor unterschiedliche Spielorte z.B. in den Rängen aufmachen. Dementsprechend mussten wir ständig umplanen; wir hätten eigentlich fünf Bauproben gebraucht, um das alles abzubilden.
Inwiefern hat Euch dann eine Virtuelle Bauprobe dabei unterstützt und wie habt ihr das erarbeitet?
Bei einer internationalen Produktion, bei der das Reisen und Treffen über mehrere Lockdowns hinweg schier unmöglich war, hatten wir schlichtweg keine Wahl, als digitale Wege der Zusammenarbeit zu etablieren. Normalerweise ist bei unseren Anwendungsszenarien eine 2D-Planung in AutoCAD aussagekräftig genug. Aber hier war aufgrund der Komplexität des Entwurfs und aufgrund unserer Anforderungen in Sachen Präzision schnell klar, dass wir bestenfalls gemeinsam in 3D arbeiten sollten. Dementsprechend haben wir unsere Hauspläne dann in diesem Zeitraum immer mehr verfeinert, auch mit externer Hilfe von Johannes Fried und Vincent Kaufmann aus dem Team der digital.DTHG.
Die Datengrundlage war durch eure Kooperation im Rahmen des ”Virtuellen Konzerthaus” mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin bestimmt hervorragend. Wie habt ihr die Daten verwendet?
Wir haben innerhalb eines anderen Projekts mit der HTW bereits eine 3D-Ansicht unseres Hauses angefertigt. Dieses texturierte Gebäudemodell hat zu Beginn der Freischütz-Planung als Grundlage für die ersten Visualisierungen sehr geholfen. Allerdings liegt der Fokus bei so einer Art Gebäudemodell ja eher auf der visuellen Qualität und da konnten wir Techniker – gerade wenns ums Vermeiden von Kollisionen geht – weniger mit anfangen. Daher mussten wir unsere sehr genauen 2D-Zeichnungen einmal komplett umbauen und ins Dreidimensionale bringen, so dass wir die Gebäudestruktur korrekt abbilden konnten. Glücklicherweise konnten wir die Texturen aus den vorhandenen 3D-Modellen auf die neue Geometrie projizieren. Die Daten haben also in den letzten zwei Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht – nicht nur wir (lacht).
Das heißt, ihr habt von diesem Zeitpunkt an ein VR-taugliches 3D Modell “in Betrieb genommen”? Wie habt ihr das Modell genutzt?
Zum Einen haben wir es hausintern genutzt, um mein Team immer auf dem aktuellen Stand zu halten, vor allem was die Planung der Riggkonstruktion anging. Dazu haben wir über die Online-Plattform Mozilla Hubs das digitale Gebäudemodell und den digitalen Bühnenentwurf zusammengebracht und die verschiedenen Varianten und technischen Lösungen in 3D begehbar gemacht. Und je näher wir dem Premierentermin kamen, haben wir uns für die Gespräche mit dem Künstlerischen Team dort online getroffen, in den letzten Wochen fast zweimal wöchentlich.
Tauscht ihr Euch darüber mit anderen Häusern oder Kolleg:innen aus?
Es besteht ja erst ein kleines Netzwerk an Häusern, die sich mit solchen digitalen Projekten auseinandersetzen. Deswegen denke ich, je mehr wir alle das vorantreiben umso mehr wird man da auch in den Austausch kommen, umso mehr wird es Podiumsbeiträge geben und man ist nicht mehr in so einer Nische der Veranstaltungstechnik. Noch stehen wir am Anfang; die Arbeitskreise müssen sich erst formieren. Es gibt ja noch keine Normierung in dem Bereich und die Workflows sind noch nicht definiert. Da bewegen wir uns noch in einem experimentellen Feld, das seine Form erst noch finden muss, damit auch alle den Mehrwert sehen können.
Die Pionierarbeit, die ihr da leistet, kostet bestimmt viel Zeit und Kraft. Wie sind die Reaktionen im Team, gibt es viel Gegenwind? Mit so einer Try and Error Strategie hat man es sicher nicht immer leicht.
Ich würde das nicht Gegenwind nennen, es ist eher eine Ressort-Frage, total nachvollziehbar. Wer hat was zu tun gerade, welche Fachabteilung steht dahinter? Wir haben hier keine Konstruktionsabteilung, die Pläne erstellt oder wo ich sagen kann: “Das mit dem VR-Thema könnte so ungefähr 10% der Arbeitszeit sein.” Eine gesunde Skepsis gehört aber einfach auch dazu, um so ein Projekt zu betrachten. Man muss sich fragen: Welchen Mehrwert habe ich jetzt oder in zehn Jahren dadurch? Oft hört man Stimmen wie: “Braucht man doch gar nicht. Macht uns nur noch mehr Arbeit. Haben wir nicht sowieso schon genug zu tun? Das haben wir früher auch nicht so gemacht!”. Dabei ist die Veranstaltungstechnik doch geprägt von einer konstanten Weiterentwicklung im Digitalen – vielleicht rasanter denn je.
Aber ist “das Digitale” nicht tatsächlich ein eigenes Berufsfeld am Theater? Es kann ja tatsächlich nicht die Erwartungshaltung sein, dass Alle das on top mitmachen.
Wir lernen in den digitalen Projekten gerade, was es bedarf, was man braucht und was man abbilden muss. Ich habe im Alltag oft nicht die Zeit mich mit Neuen Technologien auseinanderzusetzen, Fachartikel zu lesen oder auf Kongresse zu gehen. Wir müssen dann entscheiden, Geld in die Hand zu nehmen und externe Spezialisten beauftragen. Wir wären mit unseren Virtuellen Bauproben nicht soweit gekommen, wenn wir euch von der digital.DTHG nicht dabei gehabt hätten. Ihr habt immer wieder neue Impulse gesetzt, uns neue Softwares und Tools gezeigt und animiert, den Weg einmal andersherum zu gehen. Diese Art der Projektbegleitung an sich ist ja schon fast wie eine andere Abteilung und war total wertvoll.
Wir haben am Anfang des Projektes viel darüber gesprochen, dass die Situation an großen Häusern in Sachen Digitalität oft diffizil ist: eine Abteilung weiß nicht was die andere macht, die Ressorts sind oft getrennt voneinander. Ihr habt es geschafft, hier Brücken zu schlagen und abteilungsübergreifend diese Daten zu verarbeiten. Wie geht es weiter, ich hab gehört eure nächste Pressekonferenz findet in Mozilla Hubs statt?
Für mich hat die Arbeit im Digitalen tatsächlich einen großen Mehrwert: ich kann mit den vorhandenen Datensätzen jetzt präzise arbeiten und Projekte ganz anders angehen. Oder das 3D-Modell auch weiterentwickeln: es gibt jetzt z.B. auch den Beethoven-Saal und den Werner-Otto Saal als 3D-Digitalbühne in Mozilla Hubs. Sowas kann in der Kommunikation mit dem Kunden, gerade bei einem internationalen Haus wie wir es sind und wo die Anfragen aus von den Botschaften oder aus Übersee kommen, von großem Vorteil für die Vor-Ort-Besichtigungen sein. Es kommt oft vor, dass nicht alle Entscheidungsträger:innen an so einem Termin teilnehmen können. Mit so einem Werkzeug und einem Fragenkatalog kann man aber auch online einen guten räumlichen Eindruck vermitteln. In dem Zusammenhang haben wir dann ja auch alle wichtigen Ausstattungsobjekte digital nachgebaut: die Stühle, die Orchesterpodeste, Pulte etc.
Welchen Wunsch hast du an die zukünftige Arbeit im Digitalen für deinen Bereich? Und was ist deine Vision? Was bräuchtest Du?
Ich träume ja von einem virtuellen Orchesteraufstellplan! Wir haben ganz oft Orchesterpläne, die zwar auf dem maßtstabsgetreuen Grundriss der Bühne gezeichnet werden, das sind dann aber Skribbels und Zeichnungen mit Bleistift – da werden Inseln gezeichnet für die Aufstellung, die aber nie den Ist-Zustand abbilden. Meine Vision für die zukünftige Arbeit im Digitalen ist es, dass die Darstellungswerkzeuge noch besser werden und uns die Planungs- und Kommunikationsarbeit leichter machen. Denn oftmals ist es tatsächlich so, dass sich Leute einfach das nicht räumlich vorstellen können – ja hier sitzt die Streichergruppe, da sitzen die Bratschen, da hinten sitzt das Holz – und das ist eine schöne Ellipse, die aber mit der Realität nichts zu tun hat. Um uns die Arbeit zu erleichtern und Sachen besser vorbereiten zu können oder auch einer Dirigentin oder einem Dirigenten einen Eindruck zu vermitteln kann man die vorhandenen Datensätze gut nutzen, um einen Tool zu bauen, welches maßstabsgetreu in jeglicher Skalierung die Bühne abbildet und Stühle, Pulte und gegebenenfalls Instrumente darstellt. Damit auch jemand der ortsfremd ist ein Werkzeug an die Hand bekommt, um seine Aufstellung im Ideal zu entwickeln, um dann aus den Datensätzen eine Excel-Tabelle zu generieren und Leistungsbuchungen für unser Haus-Dispotool zu erzeugen.
Die Schnittstellen sind da und die kann man auch nutzen. Viele Schritte, die andere erst noch gehen müssen, haben wir schon gemacht und können dementsprechend Projekte auch schneller und vor allem kostengünstiger voranbringen. Mein Ziel ist es weiterhin Methoden und Werkzeuge zu testen, um uns auch langfristig die Arbeit zu erleichtern und am Puls der Zeit zu sein.